Interview im Zollern-Alb-Kurier

Ein Zeckenstich, eine Entzündung des Gehirns, Koma, dauerhafte Nervenschäden. Emily Abel wurde aus ihrem Teenagerdasein gerissen. Ihr Vater Dirk Abel initiiert nun eine Stiftung.

 

Der März des Jahres 2023 wird Dirk Abel für immer in Erinnerung bleiben. Freud und Leid, Hochgefühl und Niedergeschlagenheit. Zeitlich sehr nah beieinander lagen bei Dirk Abel diese emotionalen Gegensätze.

 

Am 19. März 2023 wurde der Mössinger zum Oberbürgermeister von Balingen gewählt. Zwölf Tage später ereilte Abels sechsköpfige Familie ein sehr schwerer Schicksalsschlag. Die damals 13-jährige Tochter Emily, zweitältestes von vier Kindern des Ehepaars Iris und Dirk Abel, erlitt wegen eines Zeckenstichs eine Enzephalitis, eine Entzündung des Gehirns.

 

Sie hätten von möglichen FSME-Erkrankungen nach Zeckenstichen und deren Folgen gehört. Genauso auch, dass es ganz selten schwere Verläufe gibt und selbst bei symptomatischen Krankheitsverläufen die erkältungsähnlichen Beschwerden in aller Regel nach einigen Tagen wieder abebben, besonders bei Kindern.

 

Nicht jedoch bei allen. Das Perfide eines schweren FSME-Verlaufs ist, dass sich viele Patienten zunächst wieder genesen fühlen. „Das war bei Emily auch so“, sagt Dirk Abel. Sie habe sich nach einigen Tagen, an denen sie unter grippeähnlichen Symptomen mit Kopfschmerzen und sehr hohem Fieber gelitten hatte, wieder fit genug gefühlt, in die Schule zu gehen. Deshalb hätten er und seine Frau zu diesem Zeitpunkt auch nicht an einen Zusammenhang zwischen dem Zeckenstich und der Erkrankung gedacht.

 

Auch noch nicht, als die Kopfschmerzen wieder zurückkamen und Emilys Zustand sich derart verschlechterte, dass Dirk Abel sie ins Auto setzte und mit ihr in die Tübinger Uniklinik fuhr. „Schon auf dem Weg dorthin konnte sie sich kaum noch wach halten“, erzählt ihr Vater.  In der Klinik fiel sie ins Koma. 8 Wochen dauerte ihr Überlebenskampf auf der Intensivstation. Dann war Emily über den Berg, leidet seither aber unter schweren neuronalen Ausfällen und ist rund um die Uhr auf Hilfe und Betreuung angewiesen.

 

„Der Zeckenstich hatte bei unserer Tochter eine Gehirnentzündung ausgelöst.“ Und dies wohl in einem Ausmaß, wie es die Ärzte der Uniklinik nach Aussage gegenüber Dirk Abel bei einem Kind mit FSME zuvor noch nicht erlebt hätten. „Selbst die behandelnde Ärztin hatte Tränen in den Augen, als sie uns die Diagnose der schweren Hirnschäden mitteilte.“

 

Als damit auch klar war, dass der Zeckenstich der Auslöser dieser schweren Erkrankung gewesen war, „habe ich mir schwere Vorwürfe gemacht, weil ich die Zecke nur abgerissen, aber nicht vollständig entfernt bekommen habe“. Aber alle Ärzte, die er deswegen konsultiert habe, hätten ihm erklärt, dass dies keinen Unterschied gemacht hätte. Die Viren hatten sich bereits nach ein bis zwei Stunden übertragen, bemerkt worden war die Zecke erst nach diesem Zeitpunkt. „Und Medikamente gegen FSME gibt es leider nicht, sodass sich nur die Symptome des Krankheitsverlaufs behandeln lassen,“ betont Dirk Abel. 

 

Was für die gesamte Familie folgte, waren Monate im Ausnahmezustand. Galt es doch, Emily bei ihren Klinikaufenthalten in Tübingen und einer Spezialklinik in Gailingen am Hochrhein so oft wie irgend möglich beizustehen. Und gleichzeitig das Familienleben zu Hause nicht zu kurz kommen zu lassen. „Jeder musste sich in eine neue Rolle einfinden“, erklärt Dirk Abel.

 

Bei ihm selbst galt dies in doppelter Hinsicht, denn zur veränderten Vaterrolle kam die neue Arbeit als Chef im Balinger Rathaus hinzu. „Wir haben in dieser Zeit innerhalb der Familie, durch Verwandte und Freunde große Unterstützung erfahren. Beruflich haben mir Bürgermeister Ermilio Verrengia und meine ehrenamtlichen Vertreter den Rücken frei gehalten. Besonders Ermilio Verrengia hätte während der zwangsweisen Abwesenheiten des Oberbürgermeisters einiges auffangen müssen und Rückhalt gegeben.

 

Aber auch in der Balinger Bevölkerung habe er sehr viel Zuspruch bekommen und sei auf Verständnis gestoßen, als er in der Anfangszeit nach der gewonnenen Oberbürgermeisterwahl immer wieder einmal berufliche Termine nicht hatte wahrnehmen können. „Meine Frau und ich haben uns bei der Begleitung unserer Tochter auf ihrem schweren Weg immer abgewechselt.“

 

Heute liegt der Großteil der Betreuung auf den Schultern von Iris Abel. Auch in den Nächten. Abgesehen von der Pflege in ihrem Zuhause in Mössingen bekommt Emily auch regelmäßig physiotherapeutische und logopädische Unterstützung.

 

Es sind die kleinen Fortschritte, die Emily macht, die die Familie erfreuen. „An guten Tagen kann sich unsere Tochter über Mimik mitteilen und mit einem Lächeln Freude ausstrahlen und auch zeigen, wenn es ihr nicht so gut geht.“  Auch die schwer in Mitleidenschaft gezogene Atmung mache Fortschritte. So ist Emily schon seit einiger Zeit nicht mehr auf künstliche Beatmung angewiesen. Ein Erfolg, den die Ärzte so nicht hätten vorhersagen wollen.

 

Eine Pflegerin und ein Pfleger in Gailingen seien es gewesen, die nach fast sieben Monaten als erstes den Schritt gewagt haben, Emily einmal von der Beatmung abzukoppeln. „Was Ärzte und Pflegepersonal in unseren Kliniken leisten ist wirklich beeindruckend und nötigt mir größten Respekt ab“, lobt Dirk Abel.

 

Sein großer Wunsch ist, dass die gesamte Familie noch mehr wieder Richtung Alltag kommt. Diesen Wunsch hat Dirk Abel für alle Menschen, die von neurologischen Erkrankungen betroffen sind. Und für deren Angehörige, „die zum Beispiel in vielen Fällen nicht unser Glück eines komplett barrierefreien Zuhauses haben, sondern für sehr viel Geld einen Umzug oder einen Umbau stemmen müssen“. Die sich nicht Pflegemaßnahmen über die Kassenzahlungen hinaus leisten oder auch einmal einen dringend notwendigen Erholungsurlaub gönnen können. So wie es ihm und Emilys drei Geschwistern vergönnt war.

 

Deshalb ruft Dirk Abel im Rahmen der Dachstiftung „Ich stifte Zukunft“ der Sparkasse Zollernalb nun selbst eine Treuhandstiftung ins Leben. Ziele dieser Stiftung sollen die Unterstützung von Einrichtungen sein, die sich mit der Behandlung, Rehabilitation und Erforschung von Heilungsmethoden neurologischer  Erkrankungen beschäftigen. Weiter sollen betroffene Menschen und deren Angehörige finanziell unterstützt werden. „Da Emily schon von klein auf sehr tierliebend war, fördert die Stiftung außerdem das Tierwohl. Zumal es bewiesen ist, dass tiergestützte Therapien bei neurologischen Erkrankungen hilfreich sein können“, sagt Abel.

 

Das Startkapital der Stiftung liegt im fünfstelligen Bereich, „aber ich werde in den kommenden Jahren selber weiter zustiften und hoffe, dass dies viele andere mit mir tun, sodass daraus möglichst schnell ein deutlich größerer Betrag wird“. (Weitere Infos siehe PM) Damit viele Menschen von Geldern der Treuhandstiftung profitieren und finanziell abgesicherter nach vorne schauen können.

 

Das Geld ist das eine, aber da gibt es ja auch noch die emotionale Ebene, die sich auch bei Familie Abel nicht immer beiseiteschieben lässt. „Ich habe gelernt: Wenn Bilder der Vergangenheit hochkommen, dann muss man sich sagen, jetzt ist jetzt.“ Und wenn Ereignisse anstünden, die Jugendliche in Emilys Alter erleben und die sie jetzt eigentlich miterleben würde, „dann muss man lernen, mit dieser neuen Realität zu leben“.

 

Dirk Abel weiß, dass dies ein sehr langer Weg sein kann. Aber einer, auf dem er und seine Familie schon ein gutes Stück vorangekommen sind. Ganz besonders Emily.

 

Klaus Irion, Zollern-Alb-Kurier/Schwäbische Zeitung